… darf „Konfrontationen“ getrost vergessen

Thomas Fröhlich
LIEBESGEDICHTE. LIEBESGEDICHTE? LIEBESGEDICHTE!

KONFRONTATIONEN
Gedichte 2005-2008
Maria Seisenbacher, Hermann Niklas
Mit Artwork von Goto
St. Pölten: Literaturedition NÖ, 2009. 70 S.
ISBN 978-3902-17030

Sie: wir fliegen / liegen neben / einander / an Scheiben / gedrückte Feder / gibt uns / Ruhe / zeitgerafft / die Laken.

Er: du bist mir fehl / etwas vom Traumbild / das sich mit Schleiern aus den Köpfen windet / etwas von Frühlingshaft / ausgesperrt sein mit heilen Tontauben am zerschosse- / nen Himmel / […]

Sie, das ist die Schriftstellerin und Herausgeberin der Literaturzeitschrift „Keine Delikatessen“ Maria Seisenbacher. Er, das ist der Schriftsteller, Experimentalmusiker und Historiker Hermann Niklas. Gemeinsam ist ihnen nicht nur ihre seit Jahren währende Partnerschaft sondern nun auch der Gedichtband „Konfrontationen“: kommunizierende Lyrik in Form von Gedichten und Antwortgedichten, die sich als lyrische Dialogform verstehen. Das sieht dann so aus: Ein zu einer bestimmten Situation (oder Stimmung) verfasstes Gedicht wird vom Gegenüber aufgenommen, bearbeitet und gleichsam als Antwort (wiewohl als eigenständiges Gedicht) zu Papier gebracht, das die jeweils andere Sichtweise widerspiegelt.

Auf diese Weise entsteht eine gemeinsame und doch (in einigen Passagen) seltsam fremde Sprache, die von den üblichen Liebesfloskeln angenehm losgelöst ist. Und auch die unterschiedlichen Schreibweisen der Protagonistin, des Protagonisten treten in Erscheinung: Ist Maria Seisenbacher eine Garantin für dichteste Verknappung, lässt Hermann Niklas nicht selten einen mitreißenden „flow“ über die Seiten mäandern. Und: Spannend erscheint nicht nur das Geschriebene, sondern auch das Erahnbare, das Nachvollziehen eines kreativen dialogischen Prozesses seitens der Leserin, des Lesers. Unterstützt wird dies von den (mittels Textverarbeitung) ineinander verwobenen Porträts von Goto. Dass man sich dann mitunter dennoch mit jeweils zwei Gedichten konfrontiert fühlt, die man (wäre dies eben nicht im Aussage-Antwort-Modus geschehen) nicht unbedingt aufeinander bezogen hätte, tut dem Ganzen keinen wesentlichen Abbruch. Ein intensives Einlassen auf das Buch ist sowieso notwendig (wer etwas zum Nebenherlesen braucht oder gar auf der Suche nach knuddlig-konventionellen Liebesgedichten ist, darf „Konfrontationen“ getrost vergessen).

Für „Konfrontationen“ wurden beide, Seisenbacher und Niklas, übrigens mit dem Theodor Körner-Preis 2009 ausgezeichnet.

Liest man u.a. folgende Sätze, weiß man auch warum:

wie schnell Vertrautheit / in Verbundenheit umschlägt / ein verlegtes Wimpernhaar / Auffälligkeit verhängt / und jeder alleinige Atemzug setzt / Einsamkeit in die Luft / – fast beängstigend / der Rest ist Mut.

etcetera 38, November 2009